Kürzlich sorgte Ferris MC – bürgerlich Sascha Reimann – in Passau für einen ebenso überraschenden wie provokanten Moment. Der 50-Jährige, der mit DJ Stylewarz und dem Background-Rapper Da Wizard im Zauberberg Club auftrat, musste sein Set nach nur wenigen Songs wegen Übelkeit abbrechen. Wenige Minuten später erbrach er sich neben dem DJ-Pult, und der Vorfall erregte rasch große Aufmerksamkeit. Einige Fans zeigten sich überrascht und lachten, andere sorgten sich um seinen Gesundheitszustand. Ironischerweise gab Ferris selbst den „Ramen-Nudeln“ die Schuld, die sein Völlegefühl verursachten.

Für viele alternde Künstler verkörpert dieser Moment ihre Realität. Ferris war nie ein Konformist. Einst galt er als Rebell der frühen deutschen Hip-Hop-Szene, bekannt für das kultige „Reimemonster“ mit Afrob und später als Mitglied der renommierten Elektropop-Gruppe Deichkind. Seine Texte drehten sich eher um Drogen, Versagen und die negativen Aspekte des Stadtlebens als um Luxus. Auch sein Soloalbum „fertich!“ spiegelte dies wider. Sein Einsatz von harschen Gitarren, harten Beats und düsteren Bildern unterschied ihn von traditionellen Chartproduktionen. Seine unverfälschte Ehrlichkeit machte ihn so einzigartig.
Merkmal | Information |
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Künstlername | Ferris MC |
Geburtsname | Sascha Reimann |
Geburtsdatum | 2. Oktober 1973 |
Geburtsort | Neuwied, Rheinland-Pfalz |
Beruf | Rapper, Musiker, Schauspieler |
Musikstil | Hip-Hop, Techno, Crossover, Punkrock |
Bekannt durch | „Reimemonster“ mit Afrob, Mitglied bei Deichkind (2008–2018) |
Besonderheit | Texte über Drogen, Außenseiterleben, keine Gangsta-Inszenierung |
Gesundheitliches Ereignis | Zusammenbruch beim Konzert in Passau, körperliche Schwäche, Erbrechen auf Bühne |
Quelle | https://de.wikipedia.org/wiki/Ferris_MC |
Diese Energie ging in den letzten Jahren jedoch zunehmend im künstlerischen Wirrwarr verloren. Er experimentierte mit Rap, Punk und Techno. Seinem aktuellen Bühnenprogramm fehlte jedoch auffällig ein roter Faden. Über weite Strecken fehlte dem Auftritt der Fokus. Das Publikum, überwiegend über 40, zeigte sich merklich misstrauisch gegenüber seinem Versuch, mit der Energie eines 20-Jährigen auf der Bühne zu „raven“. Sein körperliches Unbehagen unterstrich den eher peinlichen als avantgardistischen Eindruck der Szene.
Ferris jedoch blieb auf der Bühne. Und genau das ist das Erstaunliche. Nach einem solchen Vorfall hätten viele das Konzert verlassen. Ferris jedoch rappte trotz seiner offensichtlichen Schwäche weiter. Dieses Durchhaltevermögen ist nicht nur bewundernswert, sondern spiegelt auch eine Künstlergeneration wider, die sich selten Ruhe gönnt. Obwohl jüngere Künstler wie Apache 207 und LEA Pausen einlegen und offen über psychische Gesundheit sprechen, tut sich Ferris immer noch schwer, möglicherweise aus Angst, obsolet zu werden.
Das wird besonders deutlich, wenn man ihn mit früheren Freunden vergleicht. Sein Kollaborateur bei „Reimemonster“, Afrob, widmet sich derzeit sichereren musikalischen Projekten. Deichkind hingegen konzentriert sich auf aufwendige Bühnenproduktionen und eine eindeutige Inszenierung. Ferris hingegen scheint ständig auf der Suche nach seinem Publikum, seiner Position und seiner künstlerischen Stimme zu sein, ähnlich einem unerwiderten Satellitensignal. Die deutsche Kulturszene würde gerade jetzt von einem frischen, introspektiven Ferris MC sehr profitieren.
Die Frage bleibt: Ist es nicht an der Zeit, bewusst Abstand zu gewinnen? Ferris MC wirkt mit all seinen Widersprüchen besonders menschlich in einem Bereich, in dem soziale Medien oft der einzige Ort sind, an dem Authentizität zu finden ist. Der Vorfall in Passau war eher ein Schrei des Körpers als ein PR-Gag oder Exzess wie zuvor. Seine Schwäche ist wohl sein stärkstes Statement seit Jahren, insbesondere in einer Zeit, in der Burnout zur Normalität geworden ist.
Ein genauerer Blick offenbart die strukturellen Probleme, die dahinterstecken: eine Musikindustrie, die kontinuierliche Leistung erwartet, Fans, die wählerisch in Bezug auf Authentizität sind, aber Mittelmäßigkeit nicht akzeptieren, und Musiker, die sich oft nur als Marken sehen. Es gab nie ein Ferris MC-Produkt. Er war Lärm, Chaos, Sehnsucht und gelegentlich Schmerz. Sein Auftritt in Passau verdeutlichte genau das. Seine darauffolgenden Aktionen waren nicht nur mutig, sondern auch ein stiller Hilferuf.
Sein Fall verdeutlicht auch das Versagen der Musikindustrie, Veteranen ausreichend zu schützen. Während PR-Teams und Mentaltrainer neuen Künstlern helfen, sind ältere Künstler oft emotional, finanziell und gesundheitlich allein gelassen. In Interviews hat Ferris MC dies immer wieder deutlich gemacht. Kürzlich erklärte er, er hätte längst aufgeben müssen, wenn er keine Anerkennung erhalten hätte. Diese Bemerkungen decken einen strukturellen Fehler auf, der weit über einen einzelnen Vorfall hinausgeht.
Ferris MC spielt trotz aller Kritik weiterhin eine bedeutende Rolle in der deutschen Popgeschichte. Nicht wegen makelloser Produktionen oder Shows, sondern weil er immer wieder aufsteht. Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Gesellschaft ihm mit der gleichen Offenheit begegnet, die er seiner Musik über die Jahre verliehen hat: mitfühlend, verständnisvoll und unterstützend.
Denn manchmal sind die aufschlussreichsten Momente über die Person dahinter diejenigen, in denen alles schiefgeht. Ferris MC, der früher sehr gesprächig war, hat mit etwas Zurückhaltung mehr über die Musikindustrie gesprochen als über tausend Refrains. Seine körperliche oder psychische Erkrankung dient ihm als Spiegel und spiegelt nicht nur seinen eigenen Zustand, sondern auch die Herausforderungen des Älterwerdens in der Öffentlichkeit wider.